Das Leben von Anja – wie ist das?

Anja with her husband David and their son David Junior

Das Leben von Anja – wie ist das?

Der dänische öffentlich-rechtlicher Rundfunk- und Fernsehsender DR hat Anja für eine Podcast-Reihe mit dem Titel „Weltklasse“ [World Class] interviewt. Die beiden dänischen Moderatoren, Stéphanie Surrugue und Anders Agger, sprechen mit Dänen, die sich aus verschiedenen Gründen freiwillig im Ausland niedergelassen haben.

Anja ist eine von ihnen.

Privat lebt Anja ein unkonventionelles Familienleben mit einem Ehemann in Nigeria und deren Sohn David Jr., der in Dänemark zur Schule geht. Er selbst sagt, dass er in zwei Ländern gleichzeitig lebt. Ihr Leben pendelt zwischen Nigeria und Dänemark hin und her. Die Koffer sind immer gepackt, und die Wartezeit am Flughafen ist zum Alltag geworden.

Aber wie ist es wirklich?

Was treibt Anja dazu, ein sicheres und stabiles Leben in Dänemark aufzugeben und stattdessen ein schwieriges Leben in einem der gefährlichsten Länder der Welt zu führen? Und wie fühlt sich Anjas Sohn, der seine Mutter mit 100 anderen Kindern im Land of Hope-Waisenhaus teilen muss?

Wir wissen, dass viele von Ihnen die gleichen Fragen gestellt haben.

Jetzt spricht Anja über die Entscheidungen, die sie im Leben getroffen hat – und warum.

Da der Podcast nur auf Dänisch ist, haben wir ihn hier für Sie übersetzt:

 

Du bist in der Öffentlichkeit für deine Arbeit mit „Hexenkindern“ bekannt. Bist du mit diesem Prädikat unglücklich?

Meine Mission ist es, dass führende Politiker und große internationale Organisationen ihre Augen für die 10.000 Kinder öffnen, die jedes Jahr in Nigeria als Hexen beschuldigt werden. Sie können mich ‚Mutter der Hexenkinder‘ nennen. Das ist auch der Name meines Buches. Also habe ich mir auch dieses Prädikat gegeben.

Du pendelst ständig zwischen Dänemark und Nigeria hin und her. Und ich habe irgendwo gelesen, dass du dich in Nigeria genauso zu Hause fühlst wie in Dänemark. Stimmt das?

Wenn du meinen Sohn fragst, wo er lebt, wird er sagen: „Ich lebe in zwei Ländern“. Und das ist die Wahrheit. Der Boden in meinem Wohnzimmer ist voll von Koffern. Es ist, als würden wir im Frankfurter Flughafen leben, wo wir zwischen Dänemark und Nigeria hin und her fliegen. Und dann sind es auch noch zwei sehr unterschiedliche Länder.

Das war eine Entscheidung, die ich getroffen habe, als ich vor 10 Jahren den Vater meines Sohnes in Nigeria kennenlernte. Unsere Hauptpriorität und Lebensaufgabe ist es, über Kinder aufzuklären, die als Hexen beschuldigt werden, und das bedeutet, dass unsere Beziehung und unser Familienleben an zweiter Stelle stehen.

Trifft ihr euch manchmal am Flughafen?

Mein Mann und ich sehen uns nur in Nigeria. Er war noch nie in Dänemark, und viele Leute wundern sich darüber. Er ist zwar außergewöhnlich, aber er träumt nicht davon, in der westlichen Welt zu leben. Sein Ziel ist es, Nigeria zu einem besseren Ort zu machen, und er ist auch politisch aktiv in Nigeria. Damit ist er also sehr beschäftigt.

Wie denkt er über Dänemark?

Er findet, dass die Dänen fantastisch sind. Sein eigener Sohn ist halb dänisch. Aber er findet auch, dass die Dänen manchmal ein bisschen verrückt sind.

Er sieht die westliche Welt mit nigerianischen Augen, und seine Weltsicht ist kulturell anders als meine. Ich bin mit christlichen Werten in Dänemark, das am wenigsten korrupte Land der Welt, aufgewachsen. Wir kämpfen für die Gleichberechtigung der Frauen, und er ist in einer patriarchalischen Gesellschaft in Nigeria, das korrupteste Land der Welt, aufgewachsen. Unsere Sichtweisen sind unterschiedlich.

Vielleicht war ich ein bisschen naiv und dachte, dass wir in der westlichen Welt alles richtig machen. Aber wenn man uns aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, stimmt das vielleicht nicht. Er hat mich darauf aufmerksam gemacht.

Gleichzeitig weiß er, dass wir ohne die Unterstützung, die wir von den Dänen bekommen, nicht da wären, wo wir heute sind.

Nachdem wir 10 Jahre zusammen verbracht haben, haben wir gelernt, dass wir vielleicht unterschiedliche Hintergründe haben, aber wir haben ein gemeinsames Ziel und wichtige Sachen, für die wir kämpfen. Deshalb müssen wir unsere eigenen Werte zurückstellen, um gemeinsame Lösungen zu finden, damit so viele Kinder wie möglich gerettet werden können, die in Nigeria als Hexen beschuldigt werden. Das ist nicht immer einfach.

Als ich vor 10 Jahren nach Nigeria reiste, wollte ich Nigeria „retten“, indem ich diesen armen Gemeinden sagte: „Ihr solltet Kinder nicht als Hexen beschuldigen“. Aber ich musste feststellen, dass diese Menschen nicht einmal sauberes Wasser zu trinken, keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung und keinen sozialen Schutz hatten.

Wenn du Nigeria so beschreibst, muss ich fragen: Anja, was in aller Welt machst du da? Ich bewundere deine Mission, aber warum willst du ein solches Leben führen? Hattest du Zeit, darüber nachzudenken?

Das war eine Frage, die ich mir selbst stellen musste. Viele Leute haben mir gesagt, dass ich mutig bin, und mich gefragt, woher das kommt.

Ich wuchs mit einer starken und fürsorglichen Mutter auf, die in einem Pflegeheim arbeitete. Wir hatten nicht viel Geld. Mein Vater war ein Alkoholiker und hat mich als Kind vernachlässigt. Für mich waren das zwei verschiedene Welten – und ich wollte meinen Vater retten. Ich habe mich immer um die Bedürfnisse und das Wohlergehen anderer Menschen gekümmert – nicht um meine eigenen.

Meine Mutter hat mir beigebracht, dass ich hart arbeiten muss, wenn ich meine Ziele erreichen will. Als ich Land of Hope gründete, wusste ich also, dass dies mit Opfern verbunden ist.

Wohnst du in den gefährlichen Gebieten Nigerias?

Wir leben im Staat Akwa Ibom. Nigeria hat 36 Staaten, und der Staat Akwa Ibom liegt im Südosten Nigerias in der Nähe der Küste. Wir leben zusammen mit allen Kindern im Land of Hope. Es ist primitiv, aber es ist das, was ich tun möchte.

Wie denkt dein Sohn darüber? Du kümmerst dich um andere Kinder, aber nicht um ihn.

Ich möchte nicht, dass mein Sohn das Gefühl hat, dass er an zweiter Stelle steht. Aber es war schwierig, seine Mutter zu sein und gleichzeitig eine Mutterfigur für all die anderen Kinder zu sein. Ich hatte Angst, dass er eifersüchtig sein könnte. Ich habe mit meinem Mann darüber gesprochen, und er sagte, ich solle mich nicht schuldig fühlen. Die Kinder wissen, dass er mein Sohn ist und dass er bei uns lebt.

Ich habe mich auch gefragt: Ist dieses Leben gut für ihn? Und ich glaube, dass es für alle Kinder gut ist, alle Seiten dieser Welt zu sehen.

Wenn du alt bist und zurückblickst. Was würdest du als deine Erfolgsmomente hervorheben?

Die Fußspuren, die ich meinem Sohn hinterlasse, sind wichtig. Ich möchte, dass er weiß, dass das Wichtigste, was man im Leben tun kann, darin besteht, anderen Menschen in Not zu helfen und ein guter Mensch zu sein. Zuzuhören, einfühlsam sein und andere Menschen nicht verurteilen.

Ich hoffe, er wird seine Mutter als jemanden in Erinnerung behalten, der anderen Menschen geholfen hat.

Das ist für mich wichtig – nicht die Tatsache, dass ich Dalai Lama getroffen oder Preise gewonnen habe. Es mag auf Bildern auf Instagram gut aussehen, aber wir opfern auch viel. Ich hoffe, er verzeiht mir das und weiß stattdessen zu schätzen, dass ich ihm einen Einblick in eine Welt gegeben habe, in der Kinder nicht die gleichen Möglichkeiten haben wie er. Und dass er etwas aus dieser Erfahrung gelernt hat.